Leitartikel Abtreibungsrecht: Hört auf die Frauen!

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Mehr als 150 Jahre alt ist der Paragraf 218. Die aktuelle Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch ist unbefriedigend. Deshalb ist der Expertenvorschlag ein Weg für die Politik.

Wenn Frauen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, dann ist das keine Lappalie. Er ist verbunden mit körperlichem und in den allermeisten Fällen auch tiefem seelischen Schmerz. Das muss leider vorangestellt werden. Denn es gibt immer noch Zeitgenossen, die den Eindruck zu erwecken versuchen, für manche Frauen sei eine Abtreibung auch nicht schlimmer als ein Zahnarzttermin.

Deshalb ist es gut und richtig, dass die Expertenkommission nun empfiehlt, den Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten zu entkriminalisieren. Denn bisher bestand die absurde Situation, dass Frau zwar straffrei ausging, wenn sie sich innerhalb der ersten zwölf Wochen beraten ließ, aber der Abbruch immer noch illegal war, die Frau letztlich Rechtsbruch beging.

Erbe der deutschen Einheit

Diese Rechtslage ist ein Erbe der deutschen Einheit. Oder besser, des Hauruck-Verfahrens, unter dem die Wiedervereinigung vollzogen wurde. Im Einigungsvertrag blieb die heikle Frage nämlich erst mal offen.

In der DDR waren Abtreibungen bereits 1972 legalisiert worden, über einen Abbruch in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten entschied allein die Frau. In der Bundesrepublik dagegen galt der inzwischen mehr als 150 Jahre alte, noch aus dem Kaiserreich stammende Paragraf 218. 1949 war er fast unverändert in das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik übernommen worden. Nur die Todesstrafe für Abtreibungen, die aus der NS-Zeit stammte, wurde auf Drängen der Besatzungsmächte gestrichen. Ein Reformversuch 1974 scheiterte, seit 1976 war ein Abbruch dann erlaubt, wenn laut Ärztin oder Arzt medizinische, ethische oder soziale Gründe vorlagen.

Streit wird vertagt

1990 kam dann die Einheit, bei der Welten aufeinanderprallten, auch in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs. Der erbitterte Streit war so schnell nicht lösbar und wurde vertagt. Ost und West blieben vorerst bei ihren eigenen Regelungen. Im Juni 1992 votierten die Bundestagsabgeordneten dann parteiübergreifend und erstaunlich deutlich für die„Fristenregelung“ – den erlaubten Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen bei verpflichtender Beratung.

Doch schon knapp ein Jahr danach kippten die Karlsruher Richter das Gesetz. Die Begründung: Schwangerschaftsabbruch müsse grundsätzlich als Unrecht gelten, um das ungeborene Leben angemessen zu schützen. Daraus ergibt sich jetzt die spannende Frage, ob ein Gesetz, das aus dem aktuellen Expertenvorschlag erwächst, nicht erneut am Bundesverfassungsgericht scheitern könnte.

Es betrifft auch die Frauenrechte

Davon abgesehen ist damals wie heute der Streit um Abtreibung auch ein Streit um Frauenrechte, der immer noch erbittert geführt wird. Der Anspruch, über den eigenen Körper, über die eigene Zukunft mit allen Konsequenzen selbst zu entscheiden, trifft auf ein patriarchalisches Frauen-, Familien- und Weltbild, das häufig von kirchlichen und konservativen Kreisen vertreten wird. Wo die Rechte von Frauen beschnitten werden sollen, wo ein gesellschaftliches „Roll Back“ angestrebt wird, da wird auch Hand an das Abtreibungsrecht gelegt – siehe Polen 1990 oder die aktuelle Entwicklung in den USA.

„Könnten Männer schwanger werden, wäre Abtreibung schon längst ein Grundrecht“, argumentierten Anfang der 90er Jahre Befürworterinnen einer Fristenlösung. Da ist vermutlich etwas Wahres dran. Frankreichs Männer können zwar auch nicht schwanger werden, dennoch hat die Nationalversammlung in Paris vor etwa einem Monat den Schwangerschaftsabbruch als „garantierte Freiheit“ in seine Verfassung aufgenommen. Geht doch.

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