Meinung Der unbeugsame Nawalny hat das System Putin enttarnt

Bewunderswert unbeugsam bis in den Tod: Putin-Gegner Alexej Nawalny.
Bewunderswert unbeugsam bis in den Tod: Putin-Gegner Alexej Nawalny.

Hätte Alexej Nawalny in einer freien Wahl Wladimir Putin schlagen können? Wir werden es nie erfahren. Aber Nawalny hat auch so enttarnt, wie korrupt und voller Angst das Putin-Regime ist.

Alexej Nawalny hätte den bequemen Weg gehen können. 2021, nachdem er den Giftanschlag des Geheimdiensts auf ihn überlebt hatte und in der Berliner Charité unter dem Schutz der Bundesregierung wieder zu Kräften gekommen war. Er wusste, was ihm blühte, nämlich die sofortige Verhaftung, und doch entschied er, in seine Heimat Russland zurückzukehren. Da war der 1,90-Meter-Schlaks schon einige Jahre Russlands im In- und Ausland bekanntester Oppositioneller. Einer, der die Provokation liebte. Einer, der witzig und eloquent war und die Internetmedien grandios bespielte. Seit den Protesten nach der Parlamentswahl 2011 hat Nawalny immer wieder den Kreml geärgert, vor allem mit Korruptionsenthüllungen. Als der Giftanschlag 2020 passierte, war er dabei, aus seiner Antikorruptionsbewegung eine Parteienorganisation zu schmieden, die das ganze riesige Land erreicht.

Sehr viele Russen wollen einen starken Staat

Oft wird gefragt, ob es in Russland nicht einen Nelson Mandela oder einen Vaclav Havel gibt, der das Unrechtsregime ablöst. Einen, der dieses Riesenreich, das zu Europa und Asien gehört und trotz aller kulturellen Nähe zum Westen stets an seine eigene slawische Mission glaubte, zu einer Demokratie macht. Solche Erwartungen waren schon immer vermessen. Zur Wahrheit gehört, dass sehr viele Russen zwar gerne den Wohlstand des Westens hätten, dessen freiheitlichen Lebensstil aber ablehnen. Sie finden Wladimir Putins Politik des starken Staats, der antiamerikanischen Außenpolitik und der „traditionellen Werte“ richtig.

Zur Wahrheit gehört auch, dass Nawalny in seinen frühen Politikerjahren selbst mit nationalistischen und rassistischen Äußerungen auffiel. Sein Politikprogramm blieb unscharf – Russland ohne Putin, das war der Slogan. Was das heißen würde – nicht wirklich klar. Zuletzt war Nawalny zwar populär bei einer jungen städtischen Anhängerschaft. Ob er aber in freien Wahlen auch auf dem Land und bei der älteren Generation hätte punkten können? Dass Nawalnys Potenzial nicht zu unterschätzen war, zeigte immerhin die Bürgermeisterwahl 2013, als er Platz zwei gewann.

Nawalny war unbestechlich – wie Nemzow

In der Propaganda des Kremlherrschers sind Oppositionelle Verbrecher und Marionetten des Auslands. Es ist eine Sicht, die Angst offenbart: vor der Kraft der Wahrheit und dem Mut des Einzelnen. Nawalny war unbestechlich, wie schon Boris Nemzow, der 2015 in Moskau – mutmaßlich im Auftrag des Kreml – ermordet wurde.

Putins Angst hat auch Wurzeln in Russlands Historie. Sie ist voller Beispiele dafür, dass ein korruptes Regime überraschend schnell kollabieren kann. Das war 1917 so bei der Oktoberrevolution, das war 1991 so, als die Sowjetunion zerbrach. Erst im Juni 2023 wäre beinahe ein Oligarch mit seiner Privatarmee auf Moskau marschiert. Und wie aus dem Nichts erschien kürzlich ein gewisser Boris Nadeschdin und wollte mit einer Antikriegsbotschaft bei der Präsidentschaftswahl Mitte März antreten. Der Kreml ließ ihn nicht auf den Wahlzettel.

Es ist ein grausames Regime, das ein 144-Millionen-Volk in Geiselhaft hält und für den schlimmsten Krieg in Europa seit 1945 verantwortlich ist. Die freie Welt hält heute inne, weil eine dieser Geiseln bis in den Tod so bewundernswert unbeugsam war.

Hier lesen Sie einen ausführlichen Hintergrund-Text zu Kreml-Kritiker Alexej Nawalny.

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