Rheinland-Pfalz Klagewelle von Flüchtlingen überschwemmt Gerichte

Drängt angesichts von Stapeln noch nicht bearbeiteter Asylverfahren-Akten auf personelle Entlastung: Georg Schmidt, der Präsiden
Drängt angesichts von Stapeln noch nicht bearbeiteter Asylverfahren-Akten auf personelle Entlastung: Georg Schmidt, der Präsident des Verwaltungsgerichts Trier.

«TRIER/LEIPZIG.» Verwaltungsrichter schlagen Alarm. Sie werden derzeit von einer Klagewelle von Flüchtlingen überrollt. Der Chef des in Rheinland-Pfalz landesweit zuständigen Verwaltungsgerichts Trier fordert dringend mehr Personal.

Die Zahl der Asylverfahren am Verwaltungsgericht Trier hat sich in den ersten sieben Monaten dieses Jahres fast verdreifacht. Bis Ende Juli seien 9500 Klagen und Eilverfahren von Flüchtlingen eingegangen – im Jahr davor seien es in jenem Zeitraum noch 3350 gewesen, sagte der Präsident des Gerichts, Georg Schmidt. Trotz zusätzlicher Richter habe das Gericht seine Grenze erreicht: „Die Arbeitsbelastung ist extrem hoch“, so Schmidt. „Wir brauchen noch mehr Richter und noch mehr nicht-richterliches Personal.“ Ein Weniger an Arbeit sei nicht in Sicht. Der Stapel der noch nicht bearbeiteten Verfahren belaufe sich auf knapp 10.000 Asylsachen. Schmidt rechnet damit, dass dieses Jahr insgesamt um die 13.000 Verfahren eingehen. „Bei vorsichtigster Betrachtung brauchen wir noch mal zwölf Richterstellen“, sagte er. Wenn es keine personelle Entlastung gebe, würden sich die Laufzeiten deutlich verlängern. Statt zwei bis vier Monate werde es dann sechs bis acht Monate dauern, bis die Kläger und die Verwaltungen Klarheit bekämen. Zwar kommen derzeit weniger Flüchtlinge als noch im Jahr 2015 nach Deutschland. Ihr Klagen landen aber erst vor Gericht, nachdem ihre Fälle vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) behandelt wurden. „Wir kriegen die ganze Schwemme quasi zeitversetzt“, erklärte die Sprecherin des Trierer Verwaltungsgerichts. Vor allem gehe es um ablehnende Bescheide oder um den vollen Flüchtlingsstatus. Auch bundesweit sind die Verwaltungsgerichte am Limit: „Man kann sagen: Die Lage ist dramatisch. Es knarzt jetzt an allen Ecken und Enden“, sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, in Leipzig. In diesem Jahr werde sich die Zahl der Verfahren auf rund 200.000 verdoppeln. Bereits im vergangenen Jahr hatte es bei den Klagen von Flüchtlingen eine Verdopplung gegeben: Von 50.000 (2015) auf 100.000 (2016). Wegen der hohen Arbeitsbelastung hatte das rheinland-pfälzische Justizministerium in diesem Jahr zwölf zusätzliche Richterstellen und vier Stellen im Unterstützungsbereich geschaffen. Davon seien acht Richterstellen und die vier nicht-richterlichen Stellen besetzt, sagte die Gerichtssprecherin. Zurzeit gebe es am Verwaltungsgericht 23 Richter. 2016 hatte sich in Trier die Zahl der Asylverfahren schon mal verdreifacht: Von rund 3200 auf etwa 10.000. Die meisten Klagen kämen von Menschen aus Syrien, Afghanistan und Pakistan. Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Koblenz, Lars Brocker, nannte die Lage am Trierer Gericht „mittlerweile dramatisch“. Das Hauptproblem sei, dass die Schere zwischen Neueingängen und erledigten Verfahren immer weiter auseinandergehe. „Mit 23 Leuten kann man nicht 10.000 Verfahren im Jahr erledigen.“ Das Trierer Gericht müsse „rasch und dringend“ personell aufgestockt werden. „Weitere zwölf Richterstellen sind das absolute Mindestmaß“, meinte er. Die Asylverfahren seien mittlerweile auch endgültig in der zweiten Instanz am OVG angekommen. Gingen dort von Januar bis Juli 2016 noch 58 Verfahren ein, waren es im gleichen Zeitraum dieses Jahres 676. Dies sei eine Steigerung von über 1000 Prozent, sagte Brocker. Im Justizministerium ist man sich der hohen Arbeitsbelastung in Trier bewusst – und geht von noch höheren Zahlen aus. „Wir rechnen in diesem Jahr mit 16 000 Asylverfahren“, sagte der Sprecher. Daher werde derzeit geprüft, „ob über die im Haushalt vorgesehenen zwölf Richterstellen im nächsten Jahr weitergehender Handlungsbedarf besteht“. Im September und Oktober würden drei neue Richter nach Trier kommen, bis Jahresende sollten dann alle Stellen besetzt sein. Die Justiz habe generell ein Beschaffungsproblem und müsse dringend Personal auch für später aufbauen, betonte Schmidt. Vor 2020 werde die Arbeitsbelastung wegen Asylsachen nicht zurückgehen. „Dieses Jahrzehnt werden wir damit verbringen. Und man weiß nicht, was dann kommt.“

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